November 2023

Kino:Natürlich-Gastbeitrag im Sonderheft der Blickpunktfilm

Neue Wege für eine ökologische Transformation von Kinobetrieben
oder
Bio-Schorle allein ist nicht nachhaltig

von Daniel Wuschansky

Die Nachhaltigkeitsinitiativen in der Kinobranche sind noch gar nicht so alt. Es gab zwar einzelne Kinos, die sich früh intensiv um mehr Umweltschutz bemüht haben, und das Filmbüro Hessen prämierte schon 2016 zum ersten Mal das nachhaltigste Kino des Bundeslandes. Doch erst in 2018 starteten Initiativen wie das vom Umweltbundesamt geförderte Projekt Kino:Natürlich von der AG Kino Gilde e.V.. Im selben Jahr nahmen auch das Grüne Kino der FFA und die Nachhaltigkeitsinitiative der Cineplex-Gruppe ihre Arbeit auf. Der Arbeitskreis Green Shooting war nur kurz vorher gegründet worden. Warum diese Ballung von Bemühungen für mehr Umwelt- und Klimaschutz in der Branche in diesem kurzen Zeitraum? Nun, im Jahr 2018 gab es eine ganze Reihe von Ereignissen, die die Notwendigkeit einer Transformation sehr deutlich gemacht haben. Es kam von allen Seiten: Zum einen litt Deutschland zum ersten Mal seit 1976 unter einer großflächigen Dürre, zum anderen machte der erste Sonderbericht des Weltklimarates zur globalen Erwärmung von 1,5 °C deutlich, wie ungenügend unsere Anstrengungen, die Emissionen zu reduzieren, bis dahin waren. Und damals startete Fridays for Future.

Unser Projekt Kino:Natürlich präsentierte und bewarb erste Best Practice Beispiele von engagierten Kinobetrieben. Das Casablanca Kino in Nürnberg zum Beispiel stellte in diesem Jahr auf Ökostrom und nachhaltiges Gas um und installierte, wie auch das Hofgartenkino in Bad Belzig, eine Wärmerückgewinnung für die Lüftung. Das Monopol Gera bemühte sich früh um eine Photovoltaik-Anlage.

Hauptaufgabe des Projektes war und ist jedoch, Kinobetriebe zu beraten. Allerdings mussten wir erkennen, dass, nur weil ein Beratungsangebot da ist, es nicht zwingend genutzt wird. Warum ist das so? Zunächst einmal: der Stand und die Motivation in Sachen Nachhaltigkeit unterscheiden sich stark in der Branche. Viele Kinobetreibende sind in ihren Alltagsaufgaben gefangen und sehen nicht die Möglichkeit oder auch nicht die Notwendigkeit, sich zu engagieren. Ich musste feststellen, dass es einzelne Betriebe gibt, die sich nicht einmal an die in der Gewerbeabfallverordnung vorgeschriebene Mülltrennung halten.

Aber auch die vielen, vielen Kinos, die sich engagieren wollen, kommen manchmal nicht über einzelne Maßnahmen hinaus. Besonders bei kleinen Kinobetrieben ist Zeit ein großes Problem – und die hohen Kosten mancher wichtigen Nachhaltigkeitsmaßnahmen wie eine Heizungs- oder Lüftungsmodernisierung sowieso.

Aber es gibt meines Erachtens nach noch einen Grund für die oft fehlende Effizienz der Bemühungen. Die meisten von uns haben eine ganz eigene Idee, was unter Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder Klimaschutz zu verstehen ist. Für die Einen ist der Einsatz von Recyclingpapier elementar wichtig, für die Anderen Bio-Concessions, wieder andere machen sich das Reduzieren von Abfall zur Aufgabe. So verwirklicht jeder seine eigene Vorstellung von Nachhaltigkeit und sieht unter Umständen nicht, wie vielschichtig und herausfordernd das Thema eigentlich ist. Eine Bio-Schorle zusätzlich im Sortiment macht, böse formuliert, ein Kino nun mal leider nicht nachhaltiger.

Einen unerwarteten Schub für effektive Nachhaltigkeitsmaßnahmen hat die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Energiekrise im letzten Jahr verursacht. Die dramatische und häufig für Kinos existenzbedrohende Energiekostensteigerung führte zu einem hohen Interesse an Energiesparmaßnahmen. Das beinhaltete sowohl leicht umzusetzende Maßnahmen, wie Umrüstungen auf LEDs, Sensorsteuerungen oder einfach Verhaltensänderungen bei der Nutzung von Strom und Wärmeenergie, als nun auch sehr kostenintensive Investitionen, wie eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung oder eine Photovoltaikanlage.

Laut der Kinoinvestitionstudie der FFA rangieren im Scoring in 2023 die geplanten Investitionen zur Senkung des Energieverbrauchs an zweiter Stelle – direkt hinter den Investitionen für die Qualität des Kinoerlebnisses. Der Vergleich der bereits durchgeführten mit den geplanten Investitionen macht die Entwicklung deutlich: Während in den letzten vier Jahren nur 4% in Photovoltaik investiert haben, planen allein in den nächsten zwei Jahren ganze 13 % die Installation von Panels.

Diese Steigerung ist auch ein Erfolg der geänderten Förderpraxis. Bei der Finanzierung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen halfen und helfen die FFA zusammen mit den Länderförderungen. Die 2021 begonnene Förderung von Heizungserneuerungen und die in der geänderten Spruchpraxis von 2022 erstmalig explizit genannten Nachhaltigkeitsmaßnahmen, sind ein ganz entscheidender Schritt auf dem Weg, die Branche nachhaltiger zu machen. Denn neben den genannten Photovoltaikanlagen werden auch energetische Sanierungen, Fahrradstellplätze, E-Ladesäulen und das durch die Mehrwegangebotspflicht notwendig gewordene Mehrweggeschirr gefördert.

Die dadurch möglichen Investitionen in das Sparen von Energie sind ein ganz entscheidender Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in Kinobetrieben. Die von unserem Projekt Kino:Natürlich durchgeführten Treibhausgasbilanzierungen haben gezeigt, dass nach der schwer beeinflussbaren Mobilität der Besucher*innen der Verbrauch von Strom und Wärmeenergie die größten Emissionen verursacht. Doch dies sind eben nicht die einzigen Emissionsherde. Und wenn in Deutschland bis 2030 eine Reduktion der Emissionen von 65% erreicht werden soll, und 2045 dann da die große Null stehen soll, wird klar, dass die notwendigen Veränderungen nicht auf einen Bereich beschränkt bleiben dürfen.

Wie ist so ein Ziel zu erreichen? Die Frage stellt sich besonders angesichts der Vielzahl der möglichen Maßnahmen. Deren Liste ist lang: Da sind die so genannten Low-Hanging-Fruits, wie Ökostrom, Sensorsteuerungen und LEDs. Aber auch Wärmerückgewinnung, Heizungserneuerung, Dämmung, Laserprojektion, Recycling, Verpackungsvermeidung, Mülltrennung, Wassersparen usw. gehören dazu.

Eine Klimastrategie hilft, den eigenen Bedarf zu klären, Maßnahmen auszuwählen und sie zu planen. Nachdem durch eine Klimabilanzierung die CO₂-Emissionen der einzelnen Bereiche eines Betriebes ermittelt worden sind, ist die Grundlage für ein systematisches Vorgehen gelegt. Die Reduktionsziele und der Zeitraum können festgelegt werden. Wollen Sie innerhalb eines Jahres 25% ihres Energieverbrauches reduzieren? Oder nach zwei Jahren die Hälfte des Abfallaufkommens einsparen? Sie planen die Maßnahmen und überprüfen nach Ende des Zeitraums durch eine neue Bilanzierung, wie erfolgreich Sie waren. Der Erfolg wird messbar und produziert dadurch, was nicht zu vernachlässigen ist, die notwendige Motivation um durchzuhalten.

Die CO₂-Klimabilanzierung, die die Grundlage für so eine Klimastrategie ist, wurde von Kinobetrieben leider bisher viel zu selten durchgeführt. Es scheint, dass die Bedeutung einer Bilanzierung sowohl in der Kinobranche als auch über diese hinaus nicht immer klar ist. Zusätzlich sind offensichtlich die unterschiedlichen Klimabilanzierungsstandards und Angebote durch ausführende Dienstleistungsunternehmen für viele schwer überschaubar und nur schwer zu vergleichen. Aus diesem Grund ist der im Oktober veröffentlichte, einheitliche Standard zur Bilanzierungsstandard für den Kulturbereich eine bedeutende Entwicklung. Eine Expertenkommission hat im Auftrag des BKMs den auf dem Greenhouse Gas Protokoll basierenden Standard entwickelt und, gleich dazu, das passende Excel-Tool veröffentlicht. Mit dem kann jeder die Klimabilanzierung selbständig und mit wenig Aufwand durchführen. Auf einen Schlag fällt für viele die Kosten-Hürde und die aufwendige  Suche nach der richtigen Klimabilanzierung weg.

Nach dem Prinzip der Klimastrategie sind auch die ökologischen Standards anderer Zweige der Kulturbranche organisiert. Das Green Shooting arbeitet genauso damit wie das österreichische Umweltzeichen. Auch die durch den Museumsbund initiierten, erst kürzlich veröffentlichten Mindeststandards bauen, neben wichtigen Einzelmaßnahmen, auf diesem Prinzip auf. Letztendlich stammt „ Planen, Umsetzen, Überprüfen, Handeln“ aus dem Qualitäts- bzw. Umweltmanagement. Systeme wie EMAS, die ISO-Norm 14001, Fljol usw. arbeiten damit und können von Kinobetreiber*innen genutzt werden. Gerade kleine Betriebe scheuen jedoch die Investition und den Aufwand eines solchen Umweltmanagementsystems.

Aufgrund des fehlenden Zugangs vieler Programmkinos zu Beratungssystemen hat die AG Kino Gilde e.V. mithilfe von Neustart Kino das Pilotprojekt Kinodoktor ins Leben gerufen. Bei dem durch ein Peer-Review-Verfahren organisiertes Qualitätsmanagement beraten Kinobetreiber*innen ihre Kolleg*innen. Das ist zum einen kostengünstiger und kann zum anderen „auf Augenhöhe“ realisiert werden. Wir hoffen, dass das Projekt weitergeführt wird. In diesem Fall kann das Thema Betriebsökologie in alle Bereiche der Betriebsbeobachtung integriert werden. So könnte ein solches Projekt kleinere und mittlere Kinos im Bereich Nachhaltigkeit erreichen und weiterbringen, und die Lücke zu komplexeren Systemen schließen.

Nach den Eingangs erwähnten Initiativen rund um das Jahr 2018, stehen wir, meines Erachtens, nun wieder an einem Punkt, an dem die Nachhaltigkeit in der Kinobranche neuen Antrieb bekommen kann. Nicht nur die wirtschaftliche Notwendigkeit des Energiesparens verändert die Situation grundlegend. Auch der erleichterte Zugang zu Klimabilanzierungen in Verbindung mit strategischen Ansätzen, Nachhaltigkeit in Betrieben umzusetzen, macht Kinos bereit für die Transformation, die unweigerlich von allen verlangt werden wird